Warum orgasmusfixierter Sex zur emotionalen Entfremdung führt
… und wie Paare mit dem 28-Tage-Prozess die Kunst des bewussten Liebens erlernen
In der Liebe und beim Sex hat unser rationales Denken erstaunlich wenig mitzureden. Unser Verhalten in Liebesdingen wird vielmehr über einen sehr alten Teil unseres Gehirns, dem limbischen System, über Neurochemikalien gesteuert. Im Laufe der Evolution haben sich bei uns Menschen zwei Programme entwickelt, die sich teilweise entgegenstehen: “Paarungsverhalten” für die genetische Vielfalt und “Paarbindung” für die erfolgversprechendste Betreuung des Nachwuchses. Forschungen der letzten Jahre legen nahe, das orgasmusfixierter Sex der Gendiversifikation dient und zur emotionalen Entfremdung bei Paaren führt. Der Weg aus der Entfremdungsspirale ist ein bindungsorientiertes Liebesspiel, die Kunst des bewussten Liebens.
Wenn es in unseren Beziehungen kompliziert wird, wenn die Liebe und die Sexualität schwindet, dann sucht der analysierende Teil unseres Gehirns nach Erklärungen. Oft werden dann bestimmte Verhaltensweisen des Partner/der Partnerin als Ursache für die existierenden Probleme gesehen. Neuere Forschungen im letzten Jahrzehnt weisen jedoch darauf hin, dass besondere hormonelle Vorgänge im Gehirn beim konventionellen orgasmusfixierten Sex für das Auseinanderbrechen von Paarbeziehungen verantwortlich sind.
Bei der Liebe sind wir noch Primitive
Unsere Gefühlswelt und speziell unser Liebesleben wird von einem sehr alten Teil unseres Gehirns dirigiert, dem limbischen System. Es reguliert die für die soziale Natur der Säugetiere typischen Empfindungen wie Sorge um den Nachwuchs, Angst, Nahrungsaufnahme, Liebe, Lust, Spieltrieb und das Lernen durch Nachahmen. Da es sich kaum von unserem Willen beeinflussen lässt, macht es unser Liebesleben häufig so kompliziert. Noch schlimmer: Es schert sich nicht um unsere Lebensqualität, also darum, ob wir glücklich sind, sondern stellt drei evolutionäre Ziel in den Vordergrund: unser eigenes Überleben, das Überleben der Spezies durch genetische Vielfalt und die Gewährleistung der Aufzucht unseres Nachwuchses.(x1)
Seine Ziele erreicht das limbische System über die Manipulation unserer Gehirnchemie, mit der auch unsere Gefühle, Gedanken und Begierden beeinflusst werden.
Die Neurochemie der Sexualität
Forscher haben in den letzten Jahren herausgefunden, dass beim herkömmlischen Sex mit einem Gipfelorgasmus ein spezieller neurochemischer Prozess stattfindet, der anschließend zu einer gewissen Katerstimmung und Stimmungsschwankungen führt. Weil wir es gewohnt sind, den Orgasmus als Ziel von sexuellen Handlungen zu sehen, gibt es eine ständige Wiederholung dieses post-orgasmischen Syndroms, was auf lange Sicht die Beziehung gefährdet.
Die wichtigsten Mitspieler in diesem Prozess sind die Hormone Dopamin, Prolaktin und Oxytocin, die jeder für sich unterschiedliche Einflüsse auf unsere Gefühlswelt nehmen.
Dopamin wird immer dann freigesetzt, wenn das “Belohnungszentrum” in unserem limbischen System uns für bestimmte Handlungen honoriert, die dem Überleben des Einzelnen und der Spezies dient. Beispielsweise beim Essen wohlschmeckender und kalorienreicher Nahrung, beim Eingehen von Gefahren und beim Sex, sprich beim Orgasmus. Immer, wenn sich etwas lohnend anfühlt, haben wir ein Verlangen es erneut zu erreichen. Ein ausgeglichener Dopaminlevel zeichnet sich durch geistiges Wohlergehen aus. Wir fühlen uns zufrieden, sind motiviert, haben eine gesunde Libido und hegen wohlwollende Gefühle gegenüber unseren Mitmenschen - deshalb hat es auch den Beinamen “Glückshormon”. Ein Dopamin-Überschuss führt dagegen zu rücksichtslosem Verhalten, ängstlicher Unruhe und zwanghaften Aktivitäten. Bei einem Dopaminmangel fühlt man sich dagegen antriebslos, bedürftig, freudlos und hat eine geringe Libido. Süchtig machende Substanzen und Verhaltensweisen (z.B. Nikotin, Heroin, Spielsucht) setzen ebenfalls Dopamin frei, d.h. man ist nicht nach der Droge an sich süchtig, sondern nach der körpereigenen Belohnung durch Dopamin.
Prolaktin hat mehrere Aufgaben im weiblichen und männlichen Körper. Wie sein Name schon besagt, ist es dafür verantwortlich, nach der Geburt die Milchbildung in Gang zu bringen. Es spielt aber auch eine Rolle beim Wachstum der weiblichen Brust in der Pubertät und greift regulierend in den Menstruationszyklus ein. Generell ist Porlaktin verbunden mit Brutpflegeverhalten. Bei der sexuellen Neurochemie ist dieses Hormon aber vor allem ein Gegenspieler des Dopamins. Es steigt nach dem Orgasmus an, während das Dopamin abfällt. Prolaktin agiert sozusagen als sexueller Sättigungsmechanismus (deshalb auch der Beiname “Sättigungshormon”) und senkt die sexuelle Erregung. Männer reagieren nach dem Orgasmus sehr schnell darauf mit dem “ich-dreh-mich-weg-und-schnarch”-Syndrom. Ein erhöhter Prolaktin-Level hat Auswirkungen auf Gemütsschwankungen, Libidoverlust und Gewichtszunahme.
Oxytocin ist verantwortlich für jedwede Verbunden- und Vertrautheitsgefühlen, sei es bei der Eltern-Kind-Bindung, bei tiefgehenden Freundschaften oder bei liebevollen Beziehungen (deshalb auch der Beiname Kuschel- oder Bindungshormon). Es hat eine luststeigernde Wirkung auf Männer und Frauen und wird bei Berührungen, beim Küssen, beim Umsorgen, bei Massagen, beim Streicheln usw. frei gesetzt. Oxytocin ist quasi der „Langzeitklebstoff“ für gute und erfüllte Beziehungen. Als hormonelles Multitalent hat es noch andere Funktionen: bei der Geburt verursacht es die Kontraktionen der Gebärmutter, beim Orgasmus die Kontraktionen des Beckenbodens, es unterstützt die Gewichtsreduktion und hat allgemein positive Auswirkungen auf Gesundheitsprozesse.
Paarungsverhalten kontra Bindungsbestreben
Für unser evolutionsbiologisches Programm, dessen Werkzeug das limbische System ist, dient die Sexualität nicht der Freude und liebevollen Verbindung, sondern der Fortpflanzung und Erhaltung der Art. Und das wird am sichersten erreicht durch die genetische Vielfalt, d.h. einer bunten Durchmischung der Gene. Für 95% aller Säugetiere gibt es deshalb ein entsprechend angepasstes Paarungsverhalten: Suche nach einem potentiellen Sexualpartner, leidenschaftliches Nachstellen, heftige Paarung, danach Desinteresse aneinander und Suche nach dem nächsten potentiellen Sexualpartner. (x2)
Bei weniger als 5% der Säugetiere, darunter auch der Mensch, hat sich die Paarbildung als erfolgversprechendere Methode für das Überleben der Spezies heraus gestellt. Auf Grund der langen Reifung seines großen Gehirns ist der menschliche Säugling eigentlich eine Frühgeburt und hat mehr Chancen zu überleben, wenn er von beiden Elternteilen betreut und beschützt wird. Bei den paarbildenden Säugetieren haben Forscher eine erhöhte Anzahl von Rezeptoren für Oxytocin gefunden. Deshalb lassen sich hier oft Bindungsverhaltensweisen beobachten, die die Produktion von Oxytocin fördern, wie z.B. die Fellpflege, der Haut-zu-Haut-Kontakt, das Zubereiten einer Mahlzeit usw. Alle paarbildenden Säugetiere verbinden ein besonderes Wohlgefühl, Entspannung und Zufriedenheit damit, wenn sie einen Partner haben.
Wie wir eingangs schon erläutert haben, gibt es in unserem genetischen Programm neben dem eigenen Überleben die grundsätzlichen evolutionären Ziele “genetische Vielfalt” und “Großziehen des Nachwuchs”. Beim Großteil der Säugetiere ist das kein Gegensatz, wohl aber bei den Paarbildenden, weil der hormonelle Prozess beim Orgasmus eine Entfremdung der Paare bewirkt. In uns gibt es also einen Konflikt zwischen Paarungsverhalten und unserem Bestreben nach Paarbindung.
Die Katerstimmung nach dem Gipfel-Orgasmus
Der Orgasmus findet nicht zwischen den Beinen statt, sondern zwischen den Ohren. Im Gehirn laufen alle Nervenimpulse aus den Körperregionen zusammen, die von Botenstoffen, den Hormonen, übermittelt werden.
Bei der Sexualität sind mehrere biochemische Substanzen beteiligt, die drei oben genannten Hormone Dopamin, Prolaktin und Oxytocin scheinen nach den aktuellen Forschungen aber die wichtigsten zu sein.(x3) Die Forschung bei der sexuellen Biochemie steht allerdings noch in den Kinderschuhen, deshalb bitten wir euch, die nachfolgenden Erläuterungen als Tendenz anzusehen, die ihr jedoch für euch selbst überprüfen könnt, wenn ihr den unten beschriebenen 28-Tage-Prozess ausprobiert. Die meisten Forschungsergebnisse beziehen sich auf Versuche mit Ratten oder anderen Tieren, weil die Neurochemie unter Säugetieren vergleichbar ist. Auch die Zeichnungen erheben keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit und dienen nur der visuellen Unterstützung. Wir haben dafür diverse Quellen ausgewertet und zusammengeführt. Hinzu kommt, dass das Hormonsystem so komplex ist, dass nicht jeder Mensch gleich reagiert. Unsere eigenen Erfahrungen, die von anderen Personen, die sich mit der Materie befassen, und auch die der alten Taoismus- und Tantra-Meister lassen uns aber vermuten, dass die Kernaussagen korrekt sind.
Dopamin führt zu Stimmungsschwankungen
Beim Sex steigt der Dopaminlevel stark an und erreicht beim Orgasmus seinen höchsten Stand - nur um dann rapide abzufallen. Er geht danach allerdings nicht in den ausbalancierten Normalbereich zurück sondern springt, ausgelöst durch neurochemische Reaktionen und Gegenreaktionen, zwischen Mangel und Überschuss hin und her. Und das 14 bis 17 Tage lang! Das bedeutet für etwa zwei Wochen eine Achterbahn der Gefühle und Stimmungen - die nach-orgasmische Katerstimmung. Beim Dopamintief fühlen wir uns freudlos, alleingelassen, können unser Herz nicht öffnen und haben keine Lust zu Nähe oder gar Sex. Zu viel Dopamin hingegen führt zu ängstlicher innerer Unruhe, zwanghaftem Verhalten und Bedürftigkeit.
Prolaktin führt zum Libidoverlust
Als Gegenspieler zum Dopamin steigt der Prolaktin-Level nach dem Orgasmus stark an und hinterlässt ein sexuelles Sättigungsgefühl - beim Mann geht die Erektion weg, bei der Frau wird die Scheide trocken. Es markiert quasi den Ende des Sex. Wie das Dopamin braucht das Prolaktin ebenfalls etwa zwei Wochen, bis es auf ein normales Maß abfällt. In dieser Zeit können Symptome auftreten, die mit einem Prolaktin-Überschuss in Verbindung stehen wie Libidoverlust, Kopfschmerz, depressive Stimmung, Gewichtzunahme, Impotenz und Scheidentrockenheit.
Sinkendes Oxytocin führt zu emotionalem Abstand
Hinsichtlich des Bindungshormons Oxytocin gibt es viele Fehlinterpretationen in populärwissenschaftlichen Artikeln, die hervorheben, dass der Oxytocin-Level beim Sex steigt und dadurch für die Vertrautheits- und Wohlfühleffekte beim Sex sorgen würde. Nach unseren Recherchen ist es tatsächlich so, dass der Oxytocin-Level beim Vorspiel und beim Sex ansteigt, wodurch die sexuelle Bereitschaft erhöht wird, die Kontrolle sinkt und die Partner sich verbunden fühlen. Deshalb wird oft behauptet, dass häufiger Sex die Verbundenheit in einer Partnerschaft stärkt. Das ist auch richtig, sofern es nicht zum Orgasmus kommt. Der Oxytocin-Level sinkt nämlich parallel zum Dopamin direkt nach einem Gipfel-Orgasmus stark ab und benötigt mindestens sieben Tage, um wieder zum Normalwert zurück zu kehren. Der hohe Ausschüttung von Oxytocin bis zu fünf Minuten nach dem Orgasmus hat weniger mit emotionaler Bindung zu tun als viel mehr mit der Auslösung der Kontraktionen in Penis und Vagina. Ein Oxytocin-Mangel hat genau die gegenteilige Wirkung wie ein hoher Level: statt Verbundenheit und liebevollen Berührungen möchte man lieber in seinem eigenen Raum bleiben und vermeidet Berührungen.
Gibt es die nachorgasmische Katerstimmung auch bei Männern, die Orgasmus und Ejakulation trennen können? Auch bei Männern, die durch tantrische, taoistische oder andere Techniken gelernt haben, Orgasmen ohne Ejakulation zu haben, kann die nachorgasmische Katerstimmung auftreten. Diese ist nämlich nicht abhängig vom Samenverlust, sonst hätten Frauen damit gar nichts zu tun, sondern mit der Hormonausschüttung. Es gibt allerdings keine konkreten Forschungsergebnisse dazu, sondern es handelt sich um Erfahrungen von den betroffenen Männern. Bei trockenen Orgasmen, die von Kontraktionen begleitet werden, ist die nachorgasmische Unbalanciertheit wahrscheinlicher, als bei Ganzkörperorgasmen, die bei entspanntem Sex auftreten. |
Emotionale Entfremdung und der Coolidge-Effekt
Die emotionale Entfremdung nach dem Gipfelorgasmus ist von unserer genetischen Programmierung her genau so gewollt: Im Sinne der genetischen Vielfalt sollen wir mit dem vorhandenen Partner unglücklich sein und nach einem anderen Ausschau halten, um unsere Gene weit möglichst zu streuen.
Wie sehr der primitive Teil unseres Gehirns in unser Verhalten eingreift, zeigt der so genannte Coolidge-Effekt, der bislang in Testreihen bei allen Säugetieren festgestellt werden konnte. Bei Versuchen mit Ratten wurde 1956 zum ersten Mal nachgewiesen, dass wiederholter Geschlechtsverkehr mit demselben Weibchen den sexuellen Appetit des Männchens dämpft. Andererseits ist eine gleichbleibende sexuelle Aktivität zu beobachten, wenn immer andere Weibchen angeboten werden. Später wurde experimentell festgestellt, dass dies auch bei Weibchen der Fall ist, wenn auch weniger ausgeprägt. (x4)
Der Effekt ist nach einer zeitgenössischen Anekdote über den US-Präsidenten Calvin Coolidge (30. US-Präsident von 1923-29) benannt: Der Präsident und seine Gattin besuchten einen Musterhof und wurden getrennt herumgeführt. Als sie darüber staunte, dass es im Hühnerstall nur einen einzelnen Hahn gab, erklärte man ihr, der Hahn vollziehe den Paarungsakt bis zu zwölf Mal am Tag. Darauf soll Mrs. Coolidge gesagt haben: „Sagen Sie das meinem Mann.“ Als dieser später davon erfuhr, hakte er nach: „Jedes Mal dieselbe Henne?“ – „Nein, jedes Mal eine andere.“ Darauf Coolidge: „Sagen Sie das meiner Frau.“
Nach dem Dopaminabfall bei einem Orgasmus sind wir besonders anfällig für alles, das den Level wieder anhebt, um die körpereigene Belohnung zu reaktivieren. Das kann mittels kalorienreicher Nahrung, Alkohol, Shopping oder der Jagd nach dem nächsten Orgasmus geschehen. Noch effektiver ist aber, der Attraktion von etwas Neuem zu erliegen. Ein neuer Sexualpartner lässt den Dopaminlevel viel stärker ansteigen, als der vorhandene Partner.
Wie wirkt sich die “Katerstimmung” nach dem Gipfelorgasmus auf die Beziehung aus?
Die neurochemischen Veränderungen im limbischen System bei einem Gipfel-Orgasmus führen also zu einer nachorgasmischen Katerstimmung, die ca. 14 bis 17 Tage andauert. (x5) Die ständige Wiederholung dieses Orgasmus-Zyklus führt langfristig zu einer emotionalen Entfremdung, die auf mindestens vier Ursachen zurück zu führen ist:
1. Die Stimmungen der Partner sind nicht mehr synchron
Die nachorgasmischen Stimmungsschwankungen wirken sich auf Frauen und Männer unterschiedlich aus. Beide Partner befinden sich zwar gerade im unbalancierten Katerstimmungsbereich sind aber mit Ihren Bedürfnissen und Verhaltensweisen nicht im gleichen Rythmus. Während Männer beispielsweise nach dem Orgasmus sehr schnell im Energietief sind und sich am liebsten wegdrehen und schlafen würden, sind Frauen oft noch aufgedreht und bedürftig. Während der 14-täglichen nach-orgasmischen Unbalanciertheit kann es sein, dass bei dem einen Partner der Dopaminlevel gerade ansteigt und er will Sex, beim anderen ist der Level gerade abgesunken und hat überhaupt kein Interesse daran. So vielfältig wie die Symptome der neurochemischen Veränderungen sein können, so vielfältig sind auch die Stimmungsunterschiede.
2. Die Ursachen der Stimmungsschwankungen werden mit dem Partner verknüpft
Unser Unterbewusstsein verknüpft das Gefühl der Unzufriedenheit, des nicht synchron seins und des eigenen Stimmungstief mit unserem Partner. Es versteht nicht, dass hier einfach nur verschiedene Bedürfnisse bestanden, die durch eine aus dem Lot geratene Gehirnchemie aktiviert wurden.(x6) Statt dessen sucht der analysierende Teil unseres Gehirns nach anderen Erklärungen und wir fangen an, unseren Partner mit all jenen Schwächen zu sehen, die der hohe Oxytocin-Pegel vorher in der Verliebtheitsphase verdeckt hatte. (x7)
Die 14-tägliche nach-orgasmischen Katerstimmung erschafft ein Wirrwarr der Gefühle wie Reizbarkeit, Nörgelei, Ärger, Frustration, deren Ursache wir dann oft im Verhalten des Partners sehen.
3. Das Unterbewusstsein assoziiert den Partner nicht mehr mit “Liebe” sondern mit “Angriff”
Die Verknüpfung der Stimmungsschwankungen mit dem Partner bewirkt, dass der Teil unseres primitiven Gehirns von ihm aktiviert wird, der dazu da ist, auf Gefahren wie Schlangen oder Beutetiere zu reagieren. Der Sex wird dann nicht mehr mit Liebe verknüpft, sondern mit Angriff. (x8) Statt Entspannung und Wohlgefühl erleben wir Verspannung und Fluchtgefühle.
4. Die Entfremdungsspirale dreht sich abwärts
Das Unwohlsein nach orgasmusfixiertem Sex führt dazu, dass Paare immer weniger Zärtlichkeiten austauschen, dass sie immer weniger Zeit miteinander verbringen, dass sie das Interesse an gemeinsamen Sex verlieren und sich emotional voneinander zurückziehen. Je weniger körperliche Nähe da ist, desto weniger Interesse hat man daran, was zu noch weniger Zärtlichkeiten führt usw. Bei etwa 50 Prozent aller Paare führt das mittel- und langfristig zum Verlust der Liebe und zur Trennung. In diesem Fall hat unsere evolutionäre Programmierung hinsichtlich der genetischen Vielfalt die Oberhand gewonnen gegenüber unserem Bestreben nach Paarbildung.
Der Weg aus der Entfremdungsspirale
Wir eingangs erwähnt leben wir Menschen in einem Spannungsfeld zweier genetischer und evolutionärer Programme: Der Fortpflanzungsdrang, der nach Gendiversität verlangt und uns vom Partner entfremdet, und der Wunsch nach Paarbindung, weil der Fortpflanzungserfolg größer ist, wenn sich beide Eltern um den Nachwuchs kümmern. Um sie zu motivieren, ihre Aufgabe gemeinsam zu erfüllen, hat die Natur in den menschlichen Gehirnen vermehrt Oxytocin-Rezeptoren eingerichtet, die für Bindung und Wohlgefühl sorgen. Über bestimmte Bindungssignale wie Lächeln, Hautkontakt, Zuhören, Küssen, Berührungen usw. wird Oxytocin ausgeschüttet, was für eine zufriedene Nähe sorgt.
Der Weg aus der Entfremdungsspirale führt über den Aufbau einer Annährungsspirale, mit Verhaltensweisen, die zum Einen die Bindung fördern und zum Anderen die sexuelle Spannung nicht über einen Orgasmus entlädt. Eine Loslösung vom fortpflanzungsorientierten orgasmusfixierten Sex zum bindungsbasierten entspannt-ekstatischen Liebesspiel. Es gibt jahrhunderte alte, aber auch neuere Sexualweisheiten, die den “geheiligten Sex” propagieren. Die bekanntesten sind Taoismus, Tantrismus, Karezza und Slow Sex, die alle einen gemeinsamen Nenner haben: Die Vermeidung des Orgasmus, Herzöffnung und Transformation der sexuellen Energie in höhere Bewusstseinsebenen.
Himmlisch Lieben - Der 28-Tage-Weg zum bewussten Sex
Durch die intensive Beschäftigung mit diesem Thema und unseren eigenen Erfahrungen haben wir ein vierwöchiges Programm entwickelt, das Paare den Weg zu einer bewussteren Sexualität weist.
Das Programm ist in vier einwöchige Abschnitte unterteilt:
1. Woche: Bindungsverhalten
Die erste Woche beginnt an Tag 1 mit herkömmlichen Sex, bei dem beide Partner möglichst einen Orgasmus haben. Dadurch wird das Hormonsystem bei beiden auf Anfang gestellt und es lässt sich besser beobachten, welche Auswirkungen die nachorgasmische Unbalanciertheit auf beide Partner hat. Paare, die lange keinen Sex mehr hatten, können auch ohne Orgasmus einsteigen, weil die Entfremdung hier owieso schon stark ist.
In den nächsten sechs Tagen werden Verhaltensweisen eingeübt, die Bindungssignale aussenden und die der Körper als “sich sicher fühlen” interpretiert (z.B. selbstlose und nicht-erotische Berührung, Augenkontakt, Komplimente, Umarmungen, Berührungen usw.). In diesen Tagen ist viel Rücksicht und Nachsicht gefordert, weil der Dopaminlevel vor allem an den ersten vier Tagen sehr stark abfällt und sich Frustration, Depression und Energiemangel einstellen kann.
Bei Paaren, bei denen die Entfremdung schon fortgeschritten ist, können an diesen Tagen zusätzliche Verwirrung und intensive Reaktionen auftreten und es bedarf Vertrauen in die Wirkung der Bindungssignale, um den Prozess nicht vorzeitig abzubrechen.
2. Woche: Dekonditionierung
In der zweiten Woche kommt die sexuelle Energie langsam wieder zurück, die Stimmungsschwankungen halten aber noch an. Die Übungen in diesen Tagen konzentrieren sich auf das “Entlernen” von sexuellen Verhaltensweisen und das Erlernen von neuen. Themen sind dabei u.a. die “hungrige” Berührung, die Bewusstwerdung des “Point of no Return”, die Entspannung beim Sex, Atemübungen, die Lenkung von sexuellen Energien, der Plus- und Minus-Pol bei der sexuellen Erweckung.
3. Woche: Energie halten
In der dritten Woche klingt das nachorgasmische Unwohlsein langsam ab und die Hormone pendeln sich wieder in den ausbalancierten Normalbereich ein. Beide Partner fühlen sich positiver und verbundener, der Energielevel steigt.
In den zwei Wochen vorher war keine Geschlechtsverkehr vorgesehen, der nun wieder aufgenommen wird. Die Partner lernen, die sexuelle Energie aufzubauen und sie zu halten, statt sie nach außen über einen Orgasmus abzugeben.
4. Woche: Bewusster Sex
Die hormongesteuerten Überreaktionen des Körper sind ausgestanden und nun kann der Schritt zum bewussten Sex erfolgen: Bewusste Wahrnehmung und Lenkung der sexuellen Energie, gemeinsames Wachsen an und das Ausloten von neuen Erfahrungen, die Sexualität als Bewusstseinserweiterung, Schattenarbeit u.a.
Weitere Informationen zum 28-Tage-Prozess für bewussten Sex und unsere Seminare findest du unter www.bewusstes-lieben.de
© Ralf Lieder & Anke Felice Pospiech, himmlisch-lieben.de
Quellenangaben:
(x1) Marnia Robinson, Das Gift an Armors Pfeil, 2014
(x2) Carmen Reiss, Orgasmus I - Die Biologie der Trennung, Books on demand 2011
(x3) Your Brain on Sex (reuniting.info)
(x4) http://de.wikipedia.org/wiki/Coolidge-Effekt
(x5) Alex Vartman, The New Tantra, 21-Day-Challenge (http://thenewtantra.com/)
(x6) Carmen Reiss, Orgasmus I - Die Biologie der Trennung, Books on demand 2011
(x7) Walter Last, Sexuelle Energie für Gesundheit und Heilung Teil 1, Nexus 11, 2007
(x8) Marnia Robinson, Warum ziehen sich Liebende nach dem Sex voneinander zurück? www.reuniting.info
Quellensammlung aller wissenschaftlicher Veröffentlichungen: http://www.reuniting.info/science/research#research
Bildquellen:
Menschwerdung: Gabi Schoenemann / pixelio.de
Hahn: Willi Heidelbach / pixelio.de
Sonstige Fotos: Ralf Lieder