“Wertschätzende” statt “hungrige” Berührungen

Berührungen sind sehr viel mehr als nur Hautkontakt. Berührungen können Geschichten erzählen und Phantasien anregen. Sie können Energie fließen lassen, bleibende Eindrücke hinterlassen und wohlige Schauer verursachen. Sie sind eine besondere Form der Kommunikation und des Kontakts. Berührungen können aber auch Unwohlsein erzeugen und Energie abziehen, ja sogar zum Verschließen gegenüber dem Berührenden führen.

Beim Liebespiel ist es vor allem die “hungrige” Berührung, die auf Dauer für eine Distanzierung zwischen den Partnern verantwortlich ist. Hungrige Berührungen sind immer mit Mangel und Unbewusstheit verbunden. Über die Hände und den Körper wird versucht das zu bekommen, was einem selbst noch fehlt: Lebendigkeit, Selbstbewusstsein und Selbstliebe. Meist kann man die hungrige Berührung an typisch heranholenden Bewegungen erkennen. Der Partner wird fest heran gezogen, es wird “gegrabscht”, die Hände fliegen quasi über den Körper, als wenn man Angst hätte nicht genug zu bekommen. Der Fokus der Berührung liegt ganz schnell bei den Zonen des Partners, die den Berührenden in Erregung (= Lebendigkeit) bringen.

Wenn sich zwei Menschen mit Mangelbewusstsein in hungrige Berührungen stürzen, sieht das von außen oft wie unbändige Leidenschaft aus. Die Klamotten fliegen, es gibt Lustgeräusche, der andere wird “vernascht” und schnell landet das Paar beim Koitus. Die entsprechenden Szenen kennen wir aus Filmen zur Genüge. Das hat aber nichts mit Leidenschaft zu tun, sondern mit dem Versuch, das eigene Reservoir aufzufüllen. Wenn aber beide aus Mangel heraus handeln, gibt es nichts zum Auffüllen, bzw. jeder fühlt sich leerer als vorher.

“Hungrige Berührungen” sind im Übrigen nicht nur auf der aktiv berührenden Seite zu finden, sondern auch auf der passiv empfangenden. Immer wenn das Wort “brauchen” im Zusammenhang mit Berührungen gedacht oder gesagt wird (z.b. “Ich brauche das jetzt”), ist es wahrscheinlich, dass Energie gezogen wird.

“Hungrige Berührungen” hinterlassen meist ein Gefühl der Mattheit, der Zielgerichtetheit, des “nicht gemeint seins” und der Entfremdung. Man kann förmlich spüren, wie der hungrige Partner die Energie anzapft. In der Honeymoon-Phase befinden sich beide noch in einem höher schwingenden Energiefeld und es fällt noch nicht besonders auf, oder es wird ignoriert, dass das Geben und Nehmen nicht ausgeglichen ist. Aber schon bald fühlt man sich bei Berührungen nicht mehr wohl und registriert eine zunehmende Entfremdung.

Der Weg aus der Entfremdungsspirale sind wertschätzende Berührungen, die von einem überquellenden Vorrat an (Selbst-)Liebe und (Selbst-)Bewusstsein genährt werden. Nur wenn ich mir selbst genug bin, kann ich dem Partner etwas geben. Und im Idealfall vom ebenfalls gefüllten Reservoir des Partners etwas erhalten. Vor der Hinwendung zum Partner ist es wichtig, bei sich selbst zu sein, sich selbst bewusst wahrzunehmen. Bin ich in meiner inneren Mitte, aus der heraus ich mit dem Partner in Kontakt gehe? Bin ich bedürftig und will mit der Berührung einen Mangel in mir ausgleichen? Bin ich sexuell erregt und willst diese Erregung weiter anfachen? Möchte ich meine Zuneigung und Wertschätzung über die Berührung zeigen? Welche Berührungsqualität nehme ich sonst war? Wenn ich spüre, dass ich in einer “nehmenden” Haltung bin, kann ich dann bewusst auf eine “gebende” Berührungsqualität umschalten?

Wertschätzende Berührungen gehen einher mit Achtsamkeit, Bewusstheit und Ganzheitlichkeit. Ich bin mit meiner ganzen Aufmerksamkeit bei meinem Partner und vergesse mich dabei selbst nicht. Ich nehme bewusst wahr, wie ich berühre, was ich berühre und was meine Berührungen bewirken. Ich konzentriere mich nicht auf die erogenen Zonen meines Partners, sondern widme mich seinem ganzen Körper. Der Grad zwischen einer wertschätzenden und einer hungrigen Berührung ist mitunter recht schmal, manchmal von außen kaum zu unterscheiden. Die innere Haltung ist ausschlaggebend.

Wie die Berührung angenommen wird, ist weniger abhängig von der mechanische Ausführung sondern viel mehr von der Qualität der Berührung. Die Berührungsqualität wird maßgeblich vom Grad der Aufmerksamkeit des Berührenden bestimmt. Jeder Empfänger einer Berührung merkt sofort, ob du mit deinen Gedanken und deiner Aufmerksamkeit bei ihm bist oder nicht. Sei deshalb bei jeder Berührung mit voller Achtsamkeit und Aufmerksamkeit bei dem was du tust und bei dem Menschen, den du berührst. Lasse Bewusstheit und Authentizität in deine Hand einfließen und übermittle über deine Hand, wer du wirklich bist. Eine Berührung ist dann nährend, wenn du ganz bei dir bist. Wenn du das “Haben wollen” los lässt.

Wertschätzende Berührungen schaffen eine größere Verbundenheit zwischen den Partnern, weil dabei das sogenannte “Bindungshormon” Oxytocin ausgeschüttet wird. Bei paarbildendenden Säugetieren, zu denen der Mensch gehört, fördert Oxytocin bei beiden Partnern das Gefühl der Verbundenheit. Bei einer erhöhten Oxytocin-Dosis im Hormonhaushalt wird der Partner oder die Partnerin im Vergleich zu anderen Männern oder Frauen deutlich attraktiver wahrgenommen. Durch häufige Berührung wird also der Oxytocin-Spiegel hochgehalten und dadurch wiederum wird die Bindung stabilisiert.

Die Haut ist das größte Sinnesorgan unseres Körpers und jeglicher Kontakt mit ihr stimuliert die Nerven und ruft bestimmte Emotionen hervor. Mit Berührungen erreichen wir unmittelbar die Gefühlswelt unserer Mitmenschen. Wir sollten uns deshalb so oft wie möglich unserer Berührungsqualität bewusst sein.